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12 Mai 2011

Strafverfahren gegen John D. wegen Beihilfe zum Mord (Trawniki/Sobibor)

Die 1. Strafkammer (Schwurgericht) des Landgerichts München II hat den Angeklagten John D. (91) am 12.05.2011 wegen Beihilfe zum Mord in 16 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt.
Der Haftbefehl wurde aufgehoben, weil die Gefahr, dass sich der Angeklagte dem Verfahren entziehen könnte, mit der Verkündung des Urteils entfallen ist und eine Fluchtgefahr hinsichtlich des staatenlosen Angeklagten aus der Sicht der Kammer nicht besteht.
Zur Begründung hat der Vorsitzende der Strafkammer im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Auf der Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme steht für die Kammer ohne Zweifel fest, dass der Angeklagte von März 1943 bis September 1943 als Wachmann (Trawniki) im Konzentrationslager Sobibor an der Ermordung von 28060 Menschen mitgewirkt hat.
Hierbei ging die Kammer davon aus, dass die Tötungen aus niedrigen Beweggründen (Rassenhass) erfolgten und im Hinblick auf die konkreten Umstände der Tötungen mittels Einleitung von Motorabgasen in die Gaskammern auch grausam waren.
Die Rekrutierung der Trawniki erfolgte in Kriegsgefangenenlagern. Anschließend wurden sie zu Wachmännern ausgebildet und an verschiedenen Orten eingesetzt. Sie wurden registriert, erhielten Dienstausweise und wurden bewaffnet. Ihre Aufgabe war es, die im Lager befindlichen Menschen auf Schritt und Tritt, von der Ankunft der Transporte bis zur Verbrennung der Leichen, zu bewachen und zu begleiten. Sie waren gehalten, etwaige Fluchtversuche erforderlichenfalls auch unter Einsatz von Waffengewalt zu unterbinden. Hierbei wurden die konkreten Einsätze vor Ort reihum eingeteilt, sodass jeder Wachmann schichtweise an jeder wichtigen Stelle regulär zum Dienst eingeteilt wurde. Wenn neue Transporte ankamen, musste mithin jeder an seiner Stelle mitwirken, um ein reibungsloses Funktionieren der Mordmaschinerie sicher zu stellen. Damit waren alle Wachmänner Teil eines eingespielten Apparates zum Zweck der systematischen Ermordung möglichst vieler Menschen. Aus denselben Gründen kannten die Wachmänner das Schicksal der in den Transporten befindlichen Menschen ganz genau, von den alltäglichen Misshandlungen bis zu deren grausamer Ermordung.
Im Zeitraum von März 1943 bis September 1943 kamen insgesamt 16 Transporte mit insgesamt 29779 Menschen in Sobibor an. Davon kamen 15 Transporte aus den Niederlanden und einer aus Polen. Von diesen Menschen wurden mindestens 28060 sofort nach der Ankunft in den Gaskammern getötet.
Zu diesem Ergebnis kam die Kammer auf der Grundlage der gesamten erhobenen Beweise. Aus urkundentechnischer Sicht ergaben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Dienstausweis des Angeklagten eine Fälschung sein könnte. Dieser war aber nur ein Indiz in einer Reihe von anderen Beweisanzeichen, wie insbesondere die von den Nazis erstellten Verlegungslisten, Waffenbestandslisten, Übergabelisten, die Dienstausweise anderer Wachmänner, die verlesene Zeugenaussagen und Urkunden.
Hiernach war der Angeklagte notwendiger Teil der Mordmaschinerie und hatte sich damit abgefunden, an der grausamen Ermordung der in das Lager transportierten Menschen mitzuwirken. Es lag auch keine Notstandssituation vor, da sich der Angeklagte seiner Situation durch Flucht hätte entziehen können. Dies wäre ihm trotz etwaiger Risiken auch zumutbar gewesen.
Bei der Strafzumessung ist die Kammer im Hinblick auf die Beihilfe von einem Strafrahmen von 3 Jahren bis 15 Jahren ausgegangen. In diesem Rahmen war das unvorstellbare Grauen für die betroffenen Menschen und ihre noch heute lebenden Angehörigen zu berücksichtigen. Andererseits war der Umstand zu sehen, dass die abzuurteilenden Taten inzwischen fast 68 Jahre zurückliegen und der Angeklagte, der von seiner Familie getrennt leben muss, auf Grund seines hohen Alters eine hohe Haftempfindlichkeit aufweist. Ferner war zu berücksichtigen, dass der Angeklagte sich in Israel in anderer Sache 8 Jahre in Auslieferungs- und Untersuchungshaft befand, die auf die hier verhängte Strafe nicht angerechnet werden kann.
Daher hat die Kammer für den sogenannten „Kindertransport“ vom 11.06.1943 eine Einzelstrafe von 4 Jahren und 3 Monaten verhängt und für die weiteren 15 Transporte Einzelstrafen von jeweils 4 Jahren. Hieraus hat die Kammer unter nochmaliger Berücksichtigung aller Gesichtspunkte eine Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren gebildet.
Die Kammer hat zu Beginn der mündlichen Urteilsbegründung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Entscheidung frei von moralischen und oder politischen Erwägungen getroffen wurde und dass das Verfahren allein der Rechtsfindung im konkreten Fall und nicht der Aufarbeitung der deutschen Geschichte diente.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.